"Ice Walks" in Kanada: Audienz bei der Eiskönigin

Klettereisen, warme Kleidung und eine Portion Mut - das braucht es zum Ice Walking in den kanadischen Rocky Mountains. Im Maligne Canyon locken bizarre Formationen aus eingefrorenem Wasser. Und eine eiskalte “Queen”.

Gastbeitrag des bekannten Journalisten und Kanada-Kenners par excellence Ole Helmhausen

 

Der Mensch ist wohl so. Überall muss er etwas hinterlassen, um der Welt zu zeigen, dass er dagewesen ist. Die Felswände links und rechts liegen unter einer feinen Eisglasur. Wanderer, die vorher hier waren, haben sie mit ihren Handabdrücken dekoriert. Dazu haben sie ihre Hände kurz aufgelegt und durch ihre Körperwärme das Eis zum Schmilzen gebracht. Die Abdrücke blieben dank der eisigen Luft am Boden des Canyons zurück. John, der Guide von Banff Tours, mag das nicht. Er mag auch die Steinhaufen nicht, die Inukshuks sein sollen und die von Wanderern im Jasper National Park planlos in die Wildnis gestellt werden, und hält seine Gruppe deshalb an, die Handschuhe anzubehalten und so wenige Spuren wie möglich zu hinterlassen.

 

 

Der in Winterstarre liegende Maligne Canyon nötigt Ehrfurcht ab, sobald man Klettereisen untergeschnallt und eine Extraschicht Kleidung angelegt hat. Brav tritt die Gruppe in die Fußstapfen, die John beim Abstieg in den 50 m tiefen Canyon in die vereiste Schneedecke drückt. Unten angekommen, stampft er zuerst einmal auf dem zugefrorenen Maligne River auf und ab. Der Canyon ist an dieser Stelle vier, vielleicht fünf Meter breit. Uferstreifen, auch noch so schmal, gibt es nicht. Das Eis scheint an dieser Stelle dick genug, doch John geht auf Nummer sicher. Passt auf, wohin ich trete, sagt er, und schweift nicht vom Trail ab.Maligne stammt aus dem Französischen und kann mit boshaft” übersetzt werden. Und John meint es ernst. Das Eis ist gut 30 Zentimeter dick, doch gut möglich, dass der River etwas im Schilde führt. Jedenfalls ist sein Rauschen bis in die Stiefelspitzen zu spüren.

Kunstwerke aus Eis in engen Canyons

“Ice Walking” heißt in den kanadischen Rocky Mountains die beliebte Auszeit vom Skilaufen. Denn der Winter verwandelt die grandiose Bergwelt zwischen Alberta und British Columbia nicht nur in ein Skifahrer-Paradies. Die kalten Temperaturen können noch mehr. In den engen Canyons erstarren Wildwasser und Wasserfälle zu sehenswerten Kunstwerken aus Eis und Schnee. Und obgleich die Wandersaison zu Ende ist, kann man dort Wandertouren unternehmen, auf denen sich die Rockies aus einer neuen, nicht minder spektakulären Perspektive präsentieren. Alles, was man dazu braucht, ist warme Kleidung - und die Bereitschaft, ein Naturgesetz zu vergessen. Denn Wasser fließt hier nicht. Es steht still. Es wirft sich für den Besucher in Pose und hält beim Fototermin geduldig still. Es reckt sich dem Himmel entgegen, wechselt eitel das Makeup und nimmt hin und wieder sogar flüssige Gestalt an. Aber das ist die Ausnahme.

 

 

Wasserfälle, zu Salzsäulen erstarrt

Die drei wohl schönsten drei Ice-Walking Reviere liegen in Jasper und rund um Banff in der Provinz Alberta. Der knapp 2,7 Kilometer lange Ice Walk durch den Johnston Canyon unweit Banff folgt dem Johnston Creek durch eine tiefe, enge Schlucht. Man geht zunächst auf eisernen, in den Felswänden hängenden Laufstegen und kraxelt steile Pfade hinauf und hinunter. Auf halbem Weg überquert man den Creek zu einem Aussichtspunkt, der einen Blick auf die hinter einem Eisvorhang abwärts krachenden Lower Falls ermöglicht. Zuletzt steht man vor den 30 Meter hohen, wie in der Bewegung erstarrten Upper Falls - ein tonnenschweres, in allen Blautönen schimmerndes Monument, das träge an der Canyonwand lehnt und großmütig die Pickel der Eiskletterer erträgt. Dagegen sind die Hauptattraktionen im Grotto Canyon 10 Autominuten von Canmore prähistorische Pictogramme, man sieht sie bei einer Vier-Kilometer-Wanderung einen zugefrorenen Creek entlang ins tief verschneite Hinterland.

"Bullet Time" für die Queen

Auch wenn viele "Ice Walker" lieber alleine gehen: Wer geführt unterwegs ist, hat mehr vom Eis. Die Tour ist sicherer, und man erfährt interessante Fakten. Doch gerade jetzt kann John einem nur leidtun. “Blablabla Auswaschungen blabla Karst blablabla fluviale Prozesse bla!” Tapfer erklärt er die geomorphologischen Prozesse, die den Maligne Canyon geformt haben, doch in der Gruppe hört kaum einer hin. Man verdaut noch. Denn auf dem Boden eines Canyons herumzulaufen, durch den in wenigen Monaten wieder die Wassermassen toben werden, ist nicht so leicht nachvollziehbar. Hier unten steht die Welt still. Nur die Menschen bewegen sich. Wörter wie “Strudeltopf” und “Hohlkehlen”, nie gehörte und eigentlich doch spannend klingende Begriffe, haben keine Chance. Was man hier, eine halbe Stunde vom Städtchen Jasper im Maligne Canyon sieht, erinnert einen vielmehr an den Bullet Time genannten Spezialeffekt in Actionfilmen. Dabei fährt die Kamera um ein in der Bewegung eingefrorenes Objekt herum – mit dem Unterschied, dass man nicht vor einem erstarrten Keanu Reeves steht, sondern vor der über 30 m hohen Eissäule der Queen of Maligne Falls. Die Queen ist ein echte Eiskönigin. Schaurig-schön überragt sie den Boden der Schlucht, die menschlichen Eindringlinge zu armseligem Gewürm degradierend. Einen Kletterer, der sich mit Eispickel und Steigeisen an ihr zu schaffen macht, ignoriert sie mit der Arroganz einer absoluten Herrscherin. Es geht weiter. Manchmal ist die Schlucht so eng, dass man beide Wände mit ausgestreckten Armen berühren kann. Die Wände der Biegungen sind von der Wucht des Wassers so gleichmäßig rund ausgewaschen, dass sie wie gigantische Waschmaschinentrommeln aussehen. Faszinierende, grün und blau schimmernde Eisplatten werden überquert, milchig blaue Wasserpfützen übersprungen. Einmal spaziert sogar um einen Wasserfall herum. Doch anders als die Queen of Maligne Falls geben sich die Angel Falls volksnah. Man muss sich bloß ein bisschen klein machen und einmal auch durch eine Eiswasserlache schlittern. Macht aber nichts. Hier unten nimmt man einen Bückling gern in Kauf. Am Ende der 3,5 km langen Tour ist John´s Problem mit den Handabdrücken vergessen. An einer von Raureif bedeckten Felswand hinterlässt auch diese Gruppe ihre Handabdrücke. Dabei fühlen sich alle ein bisschen wie steinzeitliche Höhlenmaler. Die bildeten auch ab, was sie beeindruckte ..

Ole Helmhausen

Mehr im Internet:

Führungen Maligne Canyon: http://maligneadventures.com/

Führungen Johnston und Grotto Canyon: http://www.banfftours.com/

Fotos: Ole Helmhausen


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