Kunst und Tourismus an Kanadas Ostküste - Gastbeitrag von Ole Helmhausen

In Neufundland hat das Offshore-Öl den Kabeljau-Fang ersetzt. Doch während die Hauptstadtregion um St. John´s boomt, sterben die Outports, die entlegenen Wahrzeichen der kanadischen Provinz. Auf Fogo Island stemmt sich jedoch eine energische Frau gegen den drohenden Exitus ihrer Heimat.

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Kunst und Tourismus an Kanadas Ostküste

Ein Gastbeitrag von Ole Helmhausen

Fogo Island, Neufundland: Weltende mit Zukunft

In Neufundland hat das Offshore-Öl den Kabeljau-Fang ersetzt. Doch während die Hauptstadtregion um St. John´s boomt, sterben die Outports, die entlegenen Wahrzeichen der kanadischen Provinz. Auf Fogo Island stemmt sich jedoch eine energische Frau gegen den drohenden Exitus ihrer Heimat.

“Tu´ ein bisschen Oice in Deinen Drink.” Ein bisschen was? “Ein bisschen Oice. Vom Oiceberg.” Phil Fowley hievt einen dicken Eisklumpen aus der Kühltruhe auf den Tisch und bearbeitet ihn mit einem Pickel. Dann gießt er Screech ein, den berüchtigten neufundländischen Rum, und gibt einen Schluck Cola dazu. Zuletzt folgt ein “Oice”-Würfel von dem Eisberg, der im Juni vorbei gedriftet ist. Ich sage Prosit und setze an. Selten schmeckte Rum Cola besser.

“Phil´s Shed”, ein mit zerschlissenen Sofas und 70er-Jahre-Lichtorgel eingerichtetes Mittelding aus Kneipe und Partykeller, ist der soziale Mittelpunkt von Tilting, einem von einem Dutzend winziger Fischerdörfer auf Fogo Island. Die karge Felseninsel liegt vor der Nordostküste Neufundlands, selbst für kanadische Verhältnisse ist das weit ab vom Schuss. Von Europa aus sind zwei Flüge nötig, um hierher zu gelangen, eine Übernachtung und dann eine mehrstündige Autofahrt, dreiviertel Stunde - legendär unzuverlässige - Fähre plus Wartezeiten, und zum Tagesende noch einmal 45 Autominuten durch eine raue Kulisse aus windzerzausten Wäldchen und scharfkantigen Felsenküsten. Am Ende der Straße wartet dann Tilting. Mit seinem Naturhafen und den hübschen Häusschen ist der 250-Seelen-Outport zwar schön anzusehen, doch die Jungen ziehen weg. Es gibt ja keine Perspektive hier.

Also nichts los hier? Mitnichten. Drei Rum Colas und diverse Newfie-Witze später - Wie erkennt man einen Newfie im Himmel? Das ist der Typ, der, haha, ständig über Heimweh jammert - weiß ich es besser. Demnach hat Phil noch vier Brüder, die auch alle in Tilting leben. Einer hat Neufundland noch nie verlassen und hat es auch nicht vor. Besonders gerade jetzt nicht. Seit zwei, drei Jahren kommen nämlich Menschen aus aller Welt, um das ultramoderne Squish Studio auf der Klippe ein paar Meter weiter zu fotografieren. Die B&Bs der Insel sind nun gut gebucht, “frag´ Eileen Freakes von Peg´s B&B in Fogo (Ort). Oder Beulah Oakes vom Seven Oakes B&B drüben auf Change Islands”. Meist, sagt Phil und gießt nach, führe Fergus die Fremden zum Studio. Auch Fergus sei ein Fowley, er arbeite als “community host”, eine Art Fogo-Island-Erklärer, für Zita.

Es tut sich also etwas auf Fogo Island, und das hat mit Zita zu tun. Zita Cobb. Die schlaksige 57-jährige mit dem markanten Kurzhaarschnitt wurde hier geboren, studierte auf dem Festland und ging, ein kluger und schneller als andere denkender Kopf, nach Kalifornien. Dort machte sie in der Glasfaserindustrie ein Vermögen: 2001 war sie die drittbestbezahlte weibliche Führungskraft in Nordamerika. Dann aber kehrte sie der Karriere den Rücken und ging nach Fogo Island zurück - als eine der reichsten Frauen Kanadas in eine der ärmsten Gemeinden. Sie beschloss, ihr Vermögen in die Wiederbelebung ihrer siechen Inselheimat zu investieren.

“Schreiben Sie jetzt bloß nicht die Heidi-Story”, sagt Cobb lächelnd, als wir uns zum Interview zusammen setzen. “Wir verschenken kein Geld”. Die grimmige Leidenschaft, die sie in der Unternehmenswelt nach oben getragen hat, ist bereits während der ersten fünf Minuten nicht zu überhören. Stipendien verwarf Cobb schnell. Ihr Ziel, die Wirtschaft anzukurbeln und zugleich die 400 Jahre alte Inselkultur für das Globalisierungszeitalter fit zu machen, verfolgt die 2003 von ihr gegründete Shorefast Foundation. Die Stiftung versteht sich als soziales Unternehmen: Junge Unternehmer erhalten Kleinkredite, unterstützt werden Bemühungen um nachhaltige Fischerei und traditionelles Handwerk wie Bootsbau und Quiltstickerei. “Wir retten unsere Traditionen nur, wenn wir die Leute überzeugen können, zuhause zu bleiben”, sagt Cobb. “Fogo first” ist daher Grundsatz bei allen Projekten: Lassen sich alle Materialien auf der Insel besorgen, alle Jobs von Einheimischen erledigen?

Zita Cobb (Foto: Alex Fradkin)
 

Wichtigste Faktoren in Cobbs Masterplan sind Kunst und Tourismus. 2013 eröffnete sie fünf Kilometer vor Tilting in Joe Batt´s Arm den Fogo Island Inn (www.fogoislandinn.ca), ein Luxushotel aus mehreren versetzt übereinander geschichteten, weißen Kästen. Im Design den neufundländischen Fischerhütten nachempfunden, ruht es zum Teil auf Stelzen auf der nass glänzenden Felsenküste. Die große Mehrheit der 80 Hotelangestellten ist von hier. Das Inventar stammt fast ausnahmslos von einheimischen Handwerkern und Näherinnen und ist verkäuflich. Auch die “Community Hosts” gehören dazu, eloquente Einheimische wie Fergus, die die Gäste in ihren Trucks zu ihren Lieblingsplätzen fahren, frei von der Leber weg erzählen und im Anschluss auch gern mal einen heben. Wie Jahr 1 war? Cobb schmunzelt. “Wir hatten mehr zu tun als erwartet. Der Lernprozess war immens, wir fingen ja bei Null an. Aber wir Neufundländer haben die Gastfreundschaft ja quasi im Blut. Bei der Schulung des Personals mussten wir sogar ausdrücklich darauf hinweisen, die Gäste nicht schon beim Einchecken zu umarmen!”

Kunst versteht Zita Cobb als Fogo´s Türöffner zum Rest der Welt. Vier Studios in ultramodernem Design, über die Insel verteilt, locken Fotografen und Neugierige an, sie stapfen bei jedem Wetter zu den exponierten Standorten. Kommunikation ist Cobb jedoch wichtiger. “Die Anwesenheit von Künstlern befeuert die Auseinandersetzung in der Gemeinde. Auswärtige Designer und Künstler treffen auf unsere Handwerker. Dabei entstehen tolle Dinge, wie unsere modernen, aber noch immer neufundländischen Möbel im Hotel.” Man denke bereits an eine Möbelfabrik, sagt sie.

Doch ohne die kulturell und sozial tief verwurzelten Neufundländer ginge das alles nicht, sie sind der Joker in Zita Cobbs´ Zukunftsplänen. In “Phil´s Shed” gesellen sich irgendwann noch ein paar Gummistiefel tragende Fowleys zu unserer Rum-Cola-Runde. Ich bekomme saftige Anekdoten über die irische Connection von Tilting serviert und bedauere ernsthaft, den Rekorder nicht dabei zu haben - soviele gute Newfie-Witze höre ich. Und nein, zur Fete am Sanstag, ein alter Storyteller soll kommen und eine Band aus Fogo (Ort), kann ich leider nicht kommen. Das löst ernst gemeintes Bedauern bei den Fowley aus. In diesem Augenblick bin ich mir sicher, nicht zum letzten Mal auf Fogo Island gewesen zu sein ..


Ole Helmhausen ist freiberuflicher Reisejournalist, Autor, Fotograf und VJ und bereist seit über 20 Jahren im Auftrag deutschsprachiger Zeitungen, Magazine und Verlage die USA und Kanada. Sein beliebter Blog OUT OF CANADA ist aus meiner Sicht einer der besten Reiseblogs überhaupt. Ole lebt in Montréal (Kanada). 

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